Ultralauf - Markus Srb
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100 Miles of Istria

Datum: 09.- 12.09.2021

Distanz: 100 Meilen (168,0 km)

Höhenunterschied: +6.515 m /- 6.798 m

Strecke: Labin - Umag (Kroatien)

Points: 6 ITRA & 6 UTMB

Zeit: 37h 48min 58sec

100 Miles of Istria



Rennbericht:

Nach 3 kurzen und wenig aussagekräftigen Laufsaisonen bin ich heuer wieder zu den 100 Meilen von Istrien zurückgekehrt. Da ich mich erst Mitte des Sommers für einen Start entschieden hatte, war mein Training nicht wirklich auf eine Ultradistanz ausgelegt beziehungsweise abgestimmt. Ich wollte aber unbedingt mal wieder einen Ultratrail bestreiten, selbst wenn er nur als Sandortbestimmung nach langer Wettkampfpause dienen konnte und sollte. Auch die anderen Vorzeichen ließen vermuten dass der Lauf alles andere als leicht werden könnte. Normalerweise findet das Event im April statt, wenn die Temperaturen noch eher erträglich sind. Eine Austragung im September konnte nach einem Blick auf die langjährige Temperaturstatistik nur heißen, dass es warm wird - genauer gesagt sehr warm! Weiters kamen für mich zwei sehr schwer einzuschätzende Streckenänderungen im Vergleich zu meinem letzten Antreten erschwerend hinzu.

Nichts desto trotz stand ich gemeinsam mit Reinhard und Jochen bestens gelaunt und hoch motiviert an der Startlinie. Aufgrund der heuer geringen Teilnehmerzahl war es sogar möglich in der Zeit bis zum Startschuss noch einen gemütlichen Kaffee zu trinken - in den vorherigen Jahren waren die Kaffeehäuser immer völlig überfüllt - und wer schon jemals einen Ultratrail über 100 Meilen gelaufen ist weiß wie wichtig Koffein sein kann, wenn man sicher durch eine Nacht aber möglicherweise sogar durch zwei Nächte läuft. 

Wie in Istrien üblich erklang kurz vor dem Start "Thunderstruck" von AC/DC und in die letzten Tackte erfolgte der Start. Die 181 Starter setzen sich in Bewegung und leichtfüßig ging es auf das erste Teilstück hinunter zum Meer und durch den Campingplatz von Rabac. Normalerweise ist dieser im April noch völlig verwaist - heuer aber liefen wir unter viel Publikum die Küste entlang und sorgten bei so manchem der Camper für Verwunderung. Bereits nach kurzer Zeit verließen wir bereits wieder Meeresniveau um den ersten Hügel mit gut 350 Höhenmeter zu erklimmen nur um uns gut 10 Kilometer später bei der ersten Verpflegungsstation in Plomin Luka (15,1km 491hm+) wieder auf der Höhe von 0m wieder zu finden. Mit knapp über 2 Stunden passte das Tempo nach meinem Eindruck sehr gut und so machte ich mich nach einer halben Banane und einem Becher Cola kurze Zeit später auf das zweite, mir unbekannte, Teilstück.

Hier wartete zu aller erst gleich mal ein Anstieg von fast 700 Höhenmeter und die Hitze wurde zum ersten mal ein maßgeblicher Faktor. Nach dem ersten "Gipfel" ging es zwar meist stetig bergab, aber an so manchen Zwischenanstiegen war unter dem wolkenlosen Himmel und den wenig bis gar nicht bewaldeten Berghängen des östlichen Istrien kaum Schatten zu finden. Circa bei Kilometer 28 wurde mir dann das erste Mal ein wenig schwindlig und unwohl. Daher musste ich eine ungeplante Pause machen. Mit ein paar Nüssen, einer Salztablette und viel Trinken ging es dann weiter, neuerlich in Richtung Meer, bergab. Knapp vor der zweiten Etappenstation erreichte ich in der Dämmerung des ersten Abends die Strandpromenade von Moscenicka Draga wo uns der Weg unter Applaus und Anfeuerungsrufen vorbei an voll besetzte Standrestaurants führte, ehe unsere Verpflegungsstation (35km 1.429hm+) erreichten, Hier hieß es nun zusätzlich zum verpflegen auch die Stirnlampe für die kommende Nacht anzulegen um für die bevorstehende "Königsetappe" auf den höchsten Punkt der Strecke (und die höchsten Erhebung Istriens) gerüstet zu sein.

Nach kurzem Aufenthalt ging es hinein in die Nacht und an den Anstieg von 1400 Höhenmeter. Mit jedem Meter den wir höher stiegen wurde auch die Temperatur etwas angenehmer und auch ein leichter Wind kam auf. Nach einigen Kilometern wurde der Weg etwas flacher ging phasenweise auch wieder leicht bergab und wir kamen zur Einmündung der "blauen Strecke". Diese Läufer waren um 21:00 Uhr in Lovran gestartet und liefen von nun an die gleiche Strecke wie wir. Nach einem weitern starken Anstieg und dem Erreichen der Baumgrenze hätte man gehofft, dass man bereits den höchsten Punkt erreicht hatte, doch unzählige in der Dunkelheit verteile Lichter (der Stirnlampen) verrieten einem, dass dies noch nicht der Fall war. Also hieß es weiter und höher in den Nachthimmel hinauf, immer den voran liegenden Lichtern nach. Um circa 23:00 Uhr war es dann tatsächlich so weit - auf fast 1400m über den Meer genossen wir einen kurzen Blick auf die nächtlich beleuchtete Bucht. Von nun an ging es bergab. Im Lichtkegel der Stirnlampe 500 Höhenmeter downhill zur nächsten Verpflegungsstation, Poklon. Nach guten 10 Stunden waren die ersten 51,7 Kilometer mit gesamt 2.840 positiven und 2.641 negativen Höhenmeter geschafft.. Nach wie vor bewegte ich mich um Platz 94 und somit im Mittelfeld der gestarteten Läufer.

Nach kurzem Aufenthalt ging es weiter in die tiefe Nacht hinein. Mein kurzfristig adaptierter Plan besagte, dass ich in der Nacht Kräfte schonen bzw. sammeln sollte, da für den nächsten Tag eine "Hitzeschlacht" bzw. ein "Ausscheidungsrennen" zu befürchten war. So machte ich es dann auch und bewegte mich mit (mehr oder weniger) gemächlichem Tempo durch die Dunkelheit. Nach weiteren drei Stunden erreichte ich die nächste Verpflegungsstation. Dort gab es Suppe ehe ich mich auf die dritte Nachtetappe machte.

Auf den 17,5 Kilometern von Brugdac nach Trstenik gilt es drei Berggipfel zu erklimmen, wobei man in der Dunkelheit meist nur sehr wenig erkennen kann. Nach gesammelten 800 Höhenmetern und mehrere Stunden später erreichte ich in der Morgendämmerung die Verpflegungsstation. In der Zwischenzeit war es selbst für den Spätsommer eher kalt geworden bzw. kommt es einem mit belastetem Kreislauf so vor und man friert doch ein wenig.

Nach dem Verlassen von der Verpflegungsstation in Trstenik war ich dann zumindest im Moment froh über den Sonnenaufgang, auch wenn man weiß dass ein harter und heißer Tag bevorsteht. So ging es in der kühlen sonnigen Morgenluft über einen letzten Gipfel in den extrem steilen Abstieg von 1000 Höhenmeter auf circa 7 Kilometern nach Buzet, der wichtigsten Labe-Station auf der Strecke. 

In Buzet sind fast 100km (also fast zwei Drittel der Strecke, aber zeitlich meist erst die Hälfte) geschafft. So nutzte ich die vorhandene Infrastruktur um mich (zum ersten mal in meiner Ultralauf-Karriere während eines Laufs) zu duschen und die vom Schweiß aufgeriebene Stellen zu versorgen. Ich machte eine gute Stunde Pause, wechselte die Schuhe, gönnte mir ein (vorsorglich im Drop Bag verstautes) Bier und sammelte alle meine Kräfte um mich auf den vermutlich noch sehr langen und heißen Tag vorzubereiten.

Frisch erholt machte ich mich auf die letzten 70 Kilometer. Dieses Teilstück war völliges Neuland für mich, da es hier eine größere Streckenverlegung gegeben hat und ich dieses Teilstück so noch nie gelaufen war. Mit der angenehmen und motivierenden Anspannung ging es gut voran. Wir liefen einen Mountainbike-Trail bergauf und entlang von steilen Felsabbrüchen. Die Landschaft gestaltete sich hier ganz anders als zu Beginn des Rennens, wo man eigentlich immer einen Blick aufs Meer hatte. Es ging über fünf für Istrien typische steile Hügel bis man nach 16km das bekannte Bild des Stausees bei Butoniga wiedererkennen konnte.    

Im Schatten des dortigen Gebäudes machte ich kurz Pause um mich von der Mittagshitze zu erholen, da kamen auch schon Reinhard und Jochen des Weges. Nachdem wir bis dato das Rennen immer so um ein paar Minuten versetzt geführt hatten, beschlossen wir nun gemeinsam weiter zu laufen. So sahen wir die Möglichkeit uns gegenseitig über diverse motivatorische bzw. psychologische Tiefpunkte zu helfen. Das sollte sich im Laufe des restlichen Rennens noch als richtige und wichtige Entscheidung herausstellen.

Knapp nach dem Beginn der Etappe geht es 400m steil hioauf auf einen der vielen Hügel. Von dort kann man bereits einen der schönsten Orte Istriens und unser nächstes Ziel sehen, Motovun. Doch davor hieß es nochmal runter und wieder hinauf. In der Zwischenzeit waren wir alle von der Hitze gezeichnet und benötigten abwechselnd Zuspruch und Rücksichtnahme.

In Motovun angekommen suchten sich Jochen und ich ein Lokal mit guter Aussicht und noch besserem Bier. Wäre ich nun nicht mit Jochen und Reinhard unterwegs gewesen ich wäre sitzen geblieben und mein nächstes DNF wäre wohl oder übel besiegelt gewesen. So aber machten wir uns flott auf um Reinhard bei der nächsten Labe wieder einzuholen. Durch unseren "Seitensprung" in den Biergarten waren wir etwas entspannter und konnten uns frohen Mutes an den nächsten Anstieg heran wagen.

Bei der Verpflegungsstation in Livade hatten wir wieder zu Reinhard aufgeschlossen und machten uns gemeinsam in die zweite Nacht auf. Gute 30 Kilometer standen noch am Programm und die untergehende Sonne sollte es uns leichter machen. Mir ging es bis auf einige psychologische Tiefpunkte und den Schwindelanfall in der zweiten Etappe eigentlich bis dato ganz gut, Doch in dieser Nacht  sollte sich das ändern und sich auch die Effekte der Spätsommerhitze auswirken. Nach guten 10 Kilometern konnte ich im Schein der Stirnlampe zwar alles sehen, aber nicht mehr dreidimensional. Ich sah mit einem Schlag alles nur noch zweidimensional, was die verletzungsfreie Fortbewegung etwas schwierig machte. Es war mir nicht mehr möglich Stufen, Steine und sonstige Hindernisse betreffend Höhe und Weite abzuschätzen. Immer wieder machte ich kurze Pausen um meine Augen (zu schießen) und vor allem mein Gehirn auszuruhen um wieder eine kurze Strecke zu bewältigen. Dennoch kamen wir nicht so schlecht voran und erreichten den nächsten Checkpoint, Groznjan

Knapp 20 Kilometer vor den Ziel machten wir nur kurz Pause und mit dem Wissen, dass die Strecke nahezu nur mehr bergab verlaufen würde. Im Schein unserer Stirnlampe absolvierten wir den Weg nach Buje um uns nach kurzen Aufenthalt an das letzte Teilstück der Strecke zu machen. Von Buje verläuft die Strecke durch endlose Wälder und Felder. Obwohl man stetig auf das Meer zuläuft sieht man nichts davon und kann auch das Ziel nicht erahnen. In dieser Phase paarte sich Verzweiflung und Erschöpfung mit leicht aufwallender Euphorie, denn mit jedem Schritt kam das Ziel näher, auch wenn man es nicht sah. Auf alle Fälle war es hilfreich nicht alleine unterwegs gewesen zu sein. Nach 37 Stunden und 45 Minuten schlüpften wir durch ein "Loch in der Hecke" und waren zurück in der Zivilisation. Es galt nun noch eine Straße zu überqueren und eine dreiviertel Runde am Sportplatz bis zum Zieleinlauf zu absolvieren.

Nach 37h 48min 58sec war die (Hitze-)Schlacht geschlagen und die für mich wohl härtesten "100 MIles of Istria" waren geschlagen.

Wie schwer das Rennen war, kann man an der hohen Ausfallquote sehen. Von mehr als 250 gemeldeten und 181 gestarteten Läufern erreichten nur 107 das Ziel. Damit war die Ausfallquote fast 41%.

Für mich war 2020 eine sehr kurze Ultralaufsaison, aber ich habe es rückblickend genossen und möchte mich abschließen nochmals bei Reinhard und Jochen bedanken. Wäre ich nicht mit Euch unterwegs gewesen, ich würde heute noch im Motovun sitzen ;-).

  

Impressionen: